- Photios und Michael Psellos: Die byzantinische Renaissance
- Photios und Michael Psellos: Die byzantinische RenaissanceDie Verwendung des Begriffs »Renaissance« im Zusammenhang mit Byzanz ist sehr problematisch, da den Charakteristika der großen, von Italien ausgehenden europäischen Renaissance des 14. bis 16. Jahrhunderts byzantinische historische Phänomene nur partiell und in anderer Form und Intensität entsprechen. So fehlt etwa in Byzanz ein der italienischen Renaissance vergleichbarer radikaler Umbruch des sozialen Gefüges mit dem Aufstieg des Stadtbürgertums, es fehlt die Autonomie des Individuums gegenüber den Institutionen, insbesondere auch gegenüber der Kirche, es fehlt die Hinwendung des Denkens zur Welt in ihrer Diesseitigkeit und vieles mehr. Das Konzept von »Renaissance« setzt die Vorstellung von einer dunklen Epoche vor dieser Renaissance voraus, so wie die italienische Renaissance für sich in Anspruch nahm, das »dunkle Mittelalter« abzulösen. »Wiedergeboren« werden sollte der Zustand vor dieser dunklen Zeit, im Falle des europäischen Mittelalters also die Zeit der römischen und erst in zweiter Linie der griechischen Antike.Hieran vor allem knüpft die Vorstellung von einer byzantinischen Renaissance an: Man kann die Zeit von etwa 650 bis zum Ende des 8. Jahrhunderts als das entsprechende dunkle Zeitalter ansehen, und man bezeichnet daher allgemein das 7. und 8. Jahrhundert in Byzanz als die »dunklen« Jahrhunderte. In diesem Zeitraum wurde die Kontinuität der spätantiken Kultur, bedingt durch innere und äußere Umbrüche - so die innere Krise der Städte und der damit zusammenhängenden Sozialstruktur, der Verlust großer Reichsteile an die Araber und der Einfall verschiedener Völker in die Gebiete südlich der Donau - unterbrochen. Nach dieser Zeit verzeichnen wir eine intensive Wiederaneignung der spätantik-frühbyzantinischen und auch der genuin antiken Kultur. Man kann diesen langen Prozess, wenn man sich der Problematik der Begriffe bewusst ist, als eine »Renaissance« oder als einen »Humanismus« bezeichnen. In der ersten Phase dieser Bewegung im 9. Jahrhundert ist Photios die herausragende Figur, in einer späteren Phase, im 11. Jahrhundert, Michael Psellos.Photios machte zunächst in Konstantinopel in der Staatsverwaltung Karriere und war von 858 bis 867 sowie von 877 bis 886 Bischof dieser Stadt und damit Patriarch der mit Rom rivalisierenden Kirche von Konstantinopel. Er vereinte in seiner Person den herausragenden Gelehrten und den großen Politiker - er war der große Widerpart von Papst Nikolaus I. in den kirchenpolitischen und dogmatischen Auseinandersetzungen der Zeit; er veranlasste die Slawenmission durch die Brüder Kyrillos und Methodios; er entwickelte die »Zweigewaltenlehre«, das heißt den Versuch, den Patriarchen neben dem Kaiser als gleichberechtigte Gewalt zu etablieren. Einen für Byzanz einmaligen Einblick in seine literarische Kultur bietet sein Werk »Bibliotheke«, das auch »Myriobiblon« (= Tausendbuch) genannt wird. Es besteht aus zum Teil umfangreichen Auszügen aus insgesamt 386 (oft nicht mehr erhaltenen) Werken der griechischen Literatur aus Antike, Spätantike und Byzanz, die von biographischen Angaben und inhaltlich-stilistischen Urteilen begleitet sind.Michael Psellos war der größte Polyhistor vielleicht der gesamten Zeit des Byzantinischen Reiches. Sein riesiges Werk umfasst Schriften aus den Gebieten der Geschichtsschreibung, Philosophie, Rhetorik, Theologie, Jurisprudenz, Medizin und den Naturwissenschaften. Dazu existiert ein Korpus mit über 500 erhaltenen Briefen. Psellos entstammte, anders als Photios, einfachen Verhältnissen, doch auch er machte Karriere in der Beamtenhierarchie. Er fungierte unter mehreren Kaisern als enger Berater, als eine Art Hofphilosoph und Prinzenerzieher. Psellos verkörpert den Typus eines Gelehrten, der abgesehen von seiner »humanistischen« Belesenheit in den Werken der griechischen Antike gegenüber Photios wirkliche Renaissance-Züge aufweist: Unverkennbar ist der Versuch, in seinem Geschichtswerk Personen in ihrer Komplexität und psychologischen Widersprüchlichkeit darzustellen, deutlich auch die Tendenz, die Natur in ihrer Eigengesetzlichkeit gelten zu lassen. So kann Psellos als Vorläufer des Renaissance-Gelehrten gesehen werden.Prof. Dr. Diether R. ReinschOstrogorsky, Georg: Byzantinische Geschichte, 324—1453. Sonderausgabe München 1965. Nachdruck München 1996.Podskalsky, Gerhard: Theologie und Philosophie in Byzanz. Der Streit um die theologische Methodik in der spätbyzantinischen Geistesgeschichte (14./15. Jahrhundert),. .. München 1977.
Universal-Lexikon. 2012.